Vielleicht ein Beitrag zum Nachdenken…

„Menschen können sich – auch körperlich – gestalten. Menschen müssen dies aber auch. Hierzu gibt es keine Alternative“ (Villa 2012, S. 132).

In unserer heutigen Gesellschaft ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass sich ihre Mitglieder mit ihrem Körper, seinem Äußeren und seinen Befindlichkeiten auseinander setzen. Wer in der heutigen Gesellschaft akzeptiert sein möchte, sollte möglichst fit, schlank, schön, gesund und erfolgreich sein.

Um diese (Körper-)Ideale zu erreichen, gehen die Menschen ins Fitnessstudio, Joggen, betreiben andere Sportarten, besuchen Yoga- und Pilates-Kurse, versuchen sich so gesund wie möglich zu ernähren, machen Diäten oder Fastenkuren, besuchen Wellness-Hotels oder/und schrecken z.T. auch nicht vor einem Besuch beim Schönheitschirurgen zurück. Die Möglichkeiten seinen Körper zu verändern und zu formen, sind mittlerweile ins Unendliche gewachsen und werden von Kritikern u.a. als „Körperkult“ und „Schönheitswahn“ betitelt (vgl. Gugutzer 2007, S. 3). Im Vergleich zu einem religiösen Kult bedeutet Körperkult, dass Individuen ihren Körper verehren und deshalb bspw. einen hohen Geldbetrag für Hautpflegeprodukte und eine sportliche und fitnessorientierte Lebensführung ausgeben bzw. regelmäßig sportlichen Aktivitäten nachgehen. Oft ist dieser sportliche Aktivismus in Form von festgelegten Trainingsabläufen, -tagen und -zeiten bis ins Detail ritualisiert (vgl. ebd., S. 4).

Während die klassische Subjektphilosophie von der Unabhängigkeit des Subjekts ausgeht, sieht Foucault das Subjekt in Abhängigkeit zu Diskursen sowie zur sozialen Gemeinschaft und ihren Lebensweisen, innerhalb derer das Subjekt sich stets anzupassen versucht, um ein akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft zu sein (Reckwitz 2007, S. 12f.).
Quelle: Diplomarbeit Julia Emde

Nachdem vor ca. 2 Jahren einige Mode-Labels und Firmen dazu übergegangen sind die Damen-Konfektionsgröße 38 als Beginn der Übergrößen bei Damen zu bezeichnen…:

Lange Beine, feste Schenkel, schmale Taille und eine schöne Oberweite: Das ist die Idealfigur einer Frau, die viele anstreben. Für H&M sind das Übergrößen-Models.
Quelle: Stern

…und bspw. ein weiteres Modelabel plakatierte äußerst provokativ:

„Wir wollen an coole, gut aussehende Menschen verkaufen – und an keinen anderen.“ Dabei handele sich besonders um Jugendliche mit „vielen Freunden“ und „großartiger Einstellung“, halt „typische amerikanisch“. „Viele Menschen gehören nicht dazu, und sie sollen auch nicht dazu gehören“, befand er lappidar. „Ob wir Leute damit ausschließen? Klar!“
Quelle: Focus

Dasselbe Mode-Label setzte seine Kleidergrößen übrigens noch weiter herunter und bietet mittlerweile sogar die Kleidergröße Triple Zero an.

Size Zero (0) entspricht der deutschen Konfektionsgröße 32, Size Double Zero (00) der Größe 30 und Triple Zero (000) dementsprechend der Größe 28. Die Frage liegt nahe: Wer soll diese Größe tragen – oder vielmehr in sie hinein passen?

In Deutschland trägt die durchschnittliche Frau – nach Angaben des Robert Koch Instituts – die Kleidergröße 38. Sie ist 1,65 Meter groß, wiegt zwischen 65 und 68 Kilo und passt ganz sicher nicht in eine Jeans, die einen Hüftumfang von nur 58 Zentimetern (23 Inch) hat. Aber genau so ist eine Jeans in der Größe 000, Triple Zero geschnitten.

Zur Veranschaulichung: 58 Zentimeter entsprechen dem Taillenumfang eines sechs bis acht Jahre alten Mädchens!
Quelle: Stylebook

Nicht erst mit der Einführung der Konfektionsgrößen Zero bis Triple Zero dürften wohl viele Frauen damit begonnen haben sich die Frage zu stellen:

Ab welcher Konfektionsgröße gilt eine Frau hierzulande nicht mehr als schlank?

In der Regel kommt es dabei auf den Betrachter an. Allerdings heizen Model-Bilder und eine neue Modelinie des spanischen Labels “Mango” derzeit die Diskussion um Übergrößen und Schlankheitswahn wieder an. So sorgte ein Foto des eher normalgewichtigen Models Robyn Lawley im australischen Magazin “Cosmopolitan” für Diskussionen im Internet, weil sie für “Plus-Size”, also Übergrößen, warb – mit einer Konfektionsgröße von 38. […]

Frauen wie Sophia Loren oder Marilyn Monroe galten zu ihrer Zeit als Göttinnen – heute würden sie wie Model Robyn Lawley mit dem Zusatz “Plus-Size” belegt. Nach wie vor, sagt Altweger [Psychologin], geht es der Modeindustrie eben vor allem darum, Illusionen und Träume zu verkaufen. Wohlwissend, dass diese von den meisten Frauen nicht zu erreichen sind und die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit krank machen kann.
Quelle: RP. Online

Beeinflusst durch den öffentlichen Diskurs (Plakate, Zeitschriften, Werbung, etc.) scheint eine große Anzahl von Menschen, wahrscheinlich speziell Frauen die Orientierung zwischen “normal” und “anormal” verloren zu haben, bzw. zu verlieren.

Nach Jürgen Link, Thomas Loer und Hartmut Neuendorff (2003) spielen die Begriffe „normal“ und „Normalität“ in modernen Gesellschaften eine wichtige Rolle – die Autoren vermuten dabei, dass es sich bei Normalität um „ein für moderne Gesellschaften bedeutsames Phänomen handeln könnte“ (Link/ Loer/ Neuendorff 2003, S. 7). Die Funktion des sog. „Normalismus“ besteht dabei aus der Summe „von Diskursen, Verfahren und Institutionen“, die der Bevölkerung bzw. dem System legitimierte Orientierungshilfen auf dem Weg zur Normalität zur Verfügung stellen. Als angebracht oder normal in der Gesellschaft gilt dabei, was nach der Vermessung der Bevölkerung bzw. ihrer Handlungen und denen aus ihnen hervorgehenden bedeutsamen sozialen Besonderheiten als kollektiv akzeptiert betrachtet werden kann (vgl. ebd., S. 9).

„Das Orientierungswissen des >>Normalismus<< als eines spezifisch modernen Gesamtkomplexes von >>Normalisierungsprozeduren<< (Herstellung und Aufrechterhaltung der systemwichtigen >>Normalitäten<< ) ist also in seinem Kern statistisch aufbereitetes Wissen über Durchschnittswerte, Verteilungen von Ereignissen, Abweichungsmaße und Extremwerte“ (ebd.).

Nach Jürgen Link (1999) bedeutet Normalisierung zunächst einmal nichts anderes als das Bestreben der Individuen einer Herstellung bzw. einer „,Wiederherstellung von Normalität‘ im Sinne der ,Rückkehr von Messwerten in einen normal range aufgrund von Intervention“ (Link 1999, S. 36). Betrachtet man bspw. die erhobenen Daten zu Körpergewicht oder -größe einer Gesamtgesellschaft, so fällt auf, dass sich die Ergebnisse in einer sog. Normalverteilung darstellen lassen. Ein übermäßiger Anteil der Individuen lässt sich dabei in einem breiten Mittelfeld, dem sog. „normal range“, also dem „normalen Bereich“ verorten (vgl. Link 2005, S. 5). Als „normaler Bereich“ gilt dabei ein breiter, mit einer gewissen Flexibilität ausgestatteter Möglichkeitsrahmen von Schwankungen innerhalb dessen sich alles befindet, was als normal angesehen wird (vgl. ebd.).

Alles, was sich außerhalb des normalen Bereichs befindet, in den Beispielen von Körpergröße und – gewicht sind dies sehr große oder sehr kleine Menschen oder eben Menschen mit Über- oder Untergewicht, wird als „anormal“ bezeichnet (vgl. ebd.).

Diese Differenzierung von normal und anormal bedeutet für die Gesellschaftsmitglieder, dass sie ihre Position im sozialen Gefüge ausschließlich durch eine Platzierung im normalen Bereich bekommen und bewahren können, wenn sie bereit sind daran zu arbeiten (vgl. Meissner 2010, S. 149).
Quelle: Diplomarbeit Julia Emde

Ich denke, dass es nicht nur für mich in gewisser Weise erschreckend ist, wie sich die Bedeutung und die Diskussion um “Äußerlichkeiten” geändert hat, und es bleibt abzuwarten in welche Richtung sich der öffentliche Diskurs weiterentwickeln und welchen Einfluss er auf die Gesellschaft und ihre Wahrnehmung und Beeinflussung, bzw. “Bearbeitung” ihrer Körper haben wird.

Kommentare

Eine Antwort zu „Vielleicht ein Beitrag zum Nachdenken…“

  1. Bei den Jugendlichen entwickelt es sich in eine sehr gefährliche Richtung.
    Guckt man bei Instagram unter gewissen Hashtags nach Bildern, sieht man manipulierte Bilder. Gephotoshoppte Beine, dürr wie Äste, Figuren wie japanische Manga -Figuren, es wird einem Idealbild nachgeeifert, das niemand erreichen kann, weil es anatomisch unmöglich ist. Sehr erschreckend.
    Früher haben an Magersucht erkrankte Frauen und Mädchen (und Männer) Size Zero nachgeeifert. Nun wollen viele eine Figur haben, die anatomisch einfach nicht erreicht werden kann.