Die alte Dame

Es muss vor ca. 2 Wochen gewesen sein. Ich war in der Mittagspause auf dem Weg zum Supermarkt, als mir schon auf einige Entfernung eine alte Dame im Rollstuhl auffällt. Sie ist allein. Niemand der sie schiebt oder ihr hilft. Sie fährt rückwärts. Sie bewegt ihren Rollstuhl, in dem sie sich mit einem Fuss immer wieder kurz auf dem Bürgersteig abstützt, um ein wenig Schwung zu bekommen. Ihre spärlichen Lenkversuche mit den Armen lassen den Rollstuhl im Zick-Zack fahren. Ich beobachte Passanten dabei, wie sie einfach an der alten Dame vorbei gehen – weg sehen.

Als ich auf ihrer Höhe bin, frage ich sie, ob ich ihr helfen kann. Ich frage sie, wo sie hin möchte. Dankend nimmt sie meine Hilfe an und los geht die Reise. Ich bitte sie beide Füße auf den Rollstuhl zu stellen, drehe den Rollstuhl um und fahre mit ihr zum Supermarkt. Dort helfe ich ihr alle Produkte zusammen zu suchen, die sie kaufen möchte. Ich zeige ihr verschiedene Dinge und lasse sie auswählen. Ich hole Dinge aus den oberen Regalreihen und fahre sie durch den Supermarkt. Immer wieder muss ich Wendemanöver fahren, weil der Supermarkt mit irgendwelchen Produktpaletten zugestellt ist. Während ich die alte Dame durch den Supermarkt begleite, frage ich mich insgeheim wie sie es sonst alleine schafft einkaufen zu fahren.

Ich packe ihre Einkäufe in eine Jutetasche, die an den Griffen des Rollstuhls befestigt ist. An der Kasse hole ich alles wieder heraus, lege es auf das Fließband und fahre die alte Dame zur Kassiererin. Sie beugt sich in ihrem Rollstuhl ein wenig nach vorne, um eine rote Tasse hervor zu ziehen, die sie als Portemonnaie benutzt, da wohl schon einmal eine normale Geldbörse verloren hat. Nachdem ich ihren Einkauf in der Jutetasche verstaut habe und wir den Supermarkt verlassen, frage ich sie ob ich ihr noch etwas helfen kann.

Sie bittet mich noch einen weiteren Supermarkt mit ihr anzusteuern. Ich widerspreche ihrem Wunsch nicht und begleite sie zum nächsten Supermarkt. Während wir auf dem Weg zum zweiten Supermarkt sind, erzählt sie mir, dass sie schon seit 20 Jahren im Rollstuhl sitzt. Früher habe ihr Mann ihr noch geholfen, aber der sei vor ein paar Jahren gestorben.

Im zweiten Supermarkt kauft sie Schokolade für sich und zwei Gläser mit Bockwürstchen für einen Bekannten. Sie erzählt, dass ihr Bekannter sehr wenig Geld habe, die Würstchen aber sehr mögen würde. Kurz vor der Kasse beugt sie sich wieder nach vorne, um ihre Bezahl-Tasse hinter ihrem Rücken hervor zu holen. Als sie an der Kassiererin das Geld für die gekauften Lebensmittel geben möchte, bittet diese die alte Dame sich doch bitte mal nach vorne zu beugen, damit sie kontrollieren könne, ob die alte Dame etwas hinter ihrem Rücken versteckt habe…

Wut steigt in mir hoch. Ich bin wirklich wütend, dass die Kassiererin der alten Frau Diebstahl unterstellt. Oder sind wir vielleicht ein gewieftes Diebes-Duo? Unfassbar.

Schließlich bringe ich die alte Dame noch über eine große Kreuzung und lasse sie mit der Hoffung zurück, dass ein weitere/r hilfsbereite/r Passant/in auf die Frau aufmerksam wird, da ich selbst zurück ins Büro muss, da meine Mittagspause bald endet…


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Kommentare

7 Antworten zu „Die alte Dame“

  1. Einfach nur bewegend. Zivilcourage ist in Deutschland leider für viele ein Fremdbegriff. Es ist wirklich ein Segen, dass es noch solche wie dich gibt. Die helfen, ohne eine Gegenleistung zu bekommen. Obwohl man die ja eigentlich auch bekommt. Eine, die man nicht jeden Tag erntet: Menschliche Wärme und Dank.

    Ich selbst bin zurzeit Zivildienstleistender in einer Behindertenwerkstatt und habe dadurch Erfahrungen gemacht, die mich in solchen Situationen nicht mehr überlegen lassen.

  2. Ach Tim Buktu was weißt Du schon…Idioten wie du machen die Welt kaputt. Natürlich hat sie Arbeit ihre Mittagspause ist ja bald vorbei gewesen, wie sie schrieb.

    @zauberfrau
    Großen Respekt dass Du sowas gemacht hast. Viel zu oft sind wir mit unseren eigenen “Problemen” beschäftigt um uns um andere zu sorgen. Besonders wenn sie fremd sind. Ich habe mir von Anfang an gesagt das sowas wichtig ist und achte immer darauf wo ich wem helfen kann. Auch wenns vielleicht grad nicht das ist was man möchte.

    Weitermachen!

  3. Tim Buktu

    Musst DU viel Zeit haben! Hast Du keine Arbeit?

  4. @ Rainer: Genau diesen Gedanken hatte ich als ich die alte Dame auf dem Bürgersteig aufgegabelt habe.

    @ jörg: Das hoffe ich auch. ;-) Ja, mein twitter-Nick ist zauberfrau.

  5. hey julia
    dein acc bei twitter ist “zauberfrau”? ich würde mich freuen wenn du den einen oder anderen leser hiermit verzaubert hast und er in ähnlicher situation fragt ob er helfen kann.

    ich sage mal D A N K E für deine tat und deine zeilen!

    mit den besten grüssen
    jörg

  6. herzergreifend…

  7. Schön das es noch Menschen wie Dich gibt. Welche, die anderen Menschen uneigennützig helfen. Leider werden es immer weniger.
    Dabei sollte man immer daran denken, das man selber einmal auf Hilfe angewiesen sein kann und das kann schneller gehen als man denkt.

    Gruß Rainer